BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 19.8.2010, 8 AZR 315/09
Schadensersatz wegen pflichtwidriger Arbeitgeberweisung - Bindung des Berufungsgerichts an die
Feststellungen in einem Teilurteil
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Schlussurteil des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 30. Januar 2009 - 9 Sa 1695/07 -
aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen
vom 15. August 2007 - 3 Ca 360/07 - wird auch im Übrigen zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist,
dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die
darauf beruhen, dass dem Kläger 2006 eine bestimmte Aufgabe übertragen worden ist.
2 Der Kläger ist Architekt und seit Januar 1995 als technischer Sachverständiger im
Bauordnungsamt der Beklagten beschäftigt.
3 Seit 1997 befindet er sich in psychologischer Behandlung und wurde mehrfach stationär
behandelt. Wegen einer psychischen Erkrankung wurde der Kläger mit Bescheid vom
November 2004 als schwerbehinderter Mensch anerkannt.
4 Einen ihm im Jahr 1995 von seinem damaligen Vorgesetzten versprochenen Stellplatz für
seinen Pkw erhielt der Kläger nicht. Nachdem ihm Anfang 1998 schriftlich mitgeteilt worden
war, er solle sich nun einen Stellplatz mit einem Kollegen teilen, nutzte der Kläger ab Mitte 1998
seinen Pkw nicht mehr für die Wahrnehmung von Außendienstterminen. Daraufhin teilte der
Amtsleiter dem Personalamt mit, der Kläger sei nunmehr im Bauordnungsamt nicht länger
tragbar. Nachdem das Personalamt den Amtsleiter darauf hingewiesen hatte, dass der Kläger
nicht verpflichtet sei, sein eigenes Kfz für Dienstfahrten einzusetzen, wurde ihm die
Fahrbereitschaft für den Außendienst zur Verfügung gestellt.
5 Ab 1999 war der Kläger für einen Bezirk zuständig, in dem erheblich mehr Fallzahlen anfielen,
als in den übrigen Bezirken.
6 Anfang Mai 2001 führte er ein Beratungsgespräch in seinem Dienstzimmer, welches er mit
einer Kollegin teilte. Während des Gesprächs betrat Herr R das Dienstzimmer und begann mit
dieser Kollegin eine Unterhaltung. Hierüber beschwerte sich der Kläger mit Schreiben vom
9. Mai 2001 bei seinem Vorgesetzten und beim Personalrat.
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Der Kläger beantragte bei der Beklagten mehrfach ein Einzelbüro, zuletzt am
20. Februar 2004. Nachdem die Beklagte ein „Service Center Bauen“ eingerichtet hatte,
wurde dem Kläger dort in einem Großraumbüro ein Arbeitsplatz zugewiesen. Mit im
Oktober 2004 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage begehrte der Kläger von der
Beklagten, ihm ein geeignetes Einzelbüro zur Verfügung zu stellen. Im dortigen
Verfahren legte der Kläger ein Attest des Internisten Dr. med. G vom 27. September
2004 vor. Dieses enthält folgende Diagnose:
„• Angst und depressive Störungen mit akuter schubweise verlaufender und
fortschreitender Chronifizierung
• Neurasthenie
• generalisierte-besonders kardiale und gastrale Somatisierungsstörung
Aufgrund meiner mehrjährigen hausärztlichen Betreuung sehe ich mittlerweile
einen schweren progredient-chronifizierenden Krankheitsprozess, der
erfahrungsgemäß langfristig durchaus zu chron. organischen Erkrankung (z.B.
Magen-Herz) führen kann. Diese Einschätzung wurde auch fachärztlich
psychiatrisch während einer stationären Reha. Behandlung in einer
psychiatrisch/psychosomatischen Klinik vom 28.07. bis 08.09.2004 festgestellt.
…“
8
Eine nachfolgende amtsärztlichen Untersuchung des Klägers kam am 24. März 2005 zu
folgendem schriftlichen Ergebnis:
„Aus medizinisch psychiatrischer Sicht liegt bei Herrn P eine schizoid
narzisstische Persönlichkeitsstörung mit aktuellen Anpassungsstörungen mit
Angst und Depression sowie Somatisierungsstörung vor. Unter dieser Situation
kam es in der Vergangenheit des Herrn P zu mehrfachen akuten
Symptomentwicklungen im Sinne der Somatisierungs-störung bzw. der
Entwicklung einer Depression. Zum jetzigen Zeitpunkt stellt sich die Situation für
Herrn P so dar, dass unter idealtypischen Bedingungen (Erlangung eines
Einzelbüros) bei definiertem Arbeitsanfall eine Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten
werden kann. Sollte diesem nicht entsprochen werden, ist eine deutliche
Verschlechterung der Symptomatik mit erneuter Symptomentwicklung absehbar.
Unter den oben genannten Bedingungen ist jedoch zumindest für einen jetzt
absehbaren Zeitraum eine Arbeitsfähigkeit meines Erachtens noch
aufrechthaltbar.“
9 Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens einigten sich die Parteien am 15. Juni 2005 vor dem
Arbeitsgericht darauf, dass die Beklagte dem Kläger nach Rückkehr aus einer Rehabilitation
ein Einzelbüro zur Verfügung stellen werde.
10 Der Kläger war seit Juni 2004 arbeitsunfähig erkrankt. Während dieser bis Oktober 2005
dauernden Erkrankung fand bei der Beklagten eine Strukturreform im Bauordnungsamt statt.
Danach gab es vier Teams. Unterschiedliche Belastungen der Sachbearbeiter sollten bei
Bedarf durch Umverteilung ausgeglichen werden. Bei Aufnahme seiner Tätigkeit im Oktober
2005 bestimmte der Amtsleiter, dass der Kläger bis auf weiteres nur im Innendienst eingesetzt
werde. Er wurde dem Team „Sonderbauten“ zugeordnet. Diesem Team gehörte ua. Frau N an,
die den Aufgabenbereich „wiederkehrende Prüfungen“ wahrnahm.
11 Nachdem der Kläger die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 24. November 2005 aufgefordert
hatte, ihn vertragsgemäß zu beschäftigen, wurden ihm ab 1. Januar 2006 die bisherigen
Aufgaben der Kollegin R aus dem Bereich Sonderbau übertragen und die Beschränkung auf
den Innendienst aufgehoben. Der vom Kläger übernommene Bereich betraf die Genehmigung
von Sonderbauten für Schulen. Im Februar 2006 teilte der unmittelbare Vorgesetzte des
Klägers diesem mündlich mit, er solle zusätzlich die wiederkehrenden Prüfungen für Schulen
übernehmen. Er gab ihm zusätzlich eine Liste der zu prüfenden Schulen. Entsprechend der
Aufforderung des Klägers wurde ihm diese Anordnung mit Datum vom 9. Februar 2006 auch
handschriftlich mitgeteilt. In der Folgezeit führte der Kläger zwei wiederkehrende Prüfungen
durch, bevor er von April 2006 bis April 2007 erneut arbeitsunfähig erkrankte. Mit Schreiben
seines Prozessbevollmächtigten vom 31. Juli 2006 machte er gegenüber der Beklagten
Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend.
12 Nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit Ende April 2007 musste der Kläger keine
wiederkehrenden Prüfungen im Bereich Schulen mehr erledigen. Seit dem 27. August 2008 ist
er wieder arbeitsunfähig erkrankt.
13 Mit am 26. Februar 2007 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage hatte der Kläger zunächst
die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld/Entschädigung beantragt. Die
Höhe der Entschädigung hatte er in das Ermessen des Gerichts gestellt. Mit am 26. April 2007
beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 24. April 2007 hat der Kläger seine Klage
um einen Antrag auf Feststellung erweitert, dass die Beklagte dem Kläger auch sämtliche
zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen hat, welche auf den
„streitgegenständlichen Mobbinghandlungen“ beruhen. Diesen Antrag hat er in der
mündlichen Verhandlung unter die Bedingung gestellt, dass dem Zahlungsantrag stattgegeben
wird.
14 Der Kläger führt seine Erkrankung auf lange andauernde Anfeindungen im Sinne wiederholter
„Mobbinghandlungen“ seiner Vorgesetzten zurück. Weiter behauptet er, dass der von ihm ab
Januar 2006 übernommene Bereich der Genehmigung von Sonderbauten für Schulen ihn zu
100 % ausgelastet habe.
15
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch entscheidungserheblich, zuletzt beantragt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger sämtliche zukünftigen
materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen hat, die er nach der Zustellung
seines klageerweiternden Schriftsatzes vom 24. April 2007 erlitten hat oder
erleiden wird - ohne Berücksichtigung seiner bis April 2007 dauernden
Erkrankung - und die darauf beruhen, dass die Beklagte ihm im Jahr 2006 die
Aufgabe der wiederkehrenden Prüfung von Schulen übertragen hat.
16 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
17 Sie behauptet, die mit dem Bereich „wiederkehrende Prüfung“ befasste Mitarbeiterin sei
ausgelastet gewesen. Deshalb habe der Vorgesetzte des Klägers ihm die wiederkehrenden
Prüfungen von Schulen übertragen. Schließlich habe der Vorgesetzte diesen Aufgabenbereich
selbst wahrgenommen.
18
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit Teilurteil vom 15. Februar 2008 hat das
Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers insoweit zurückgewiesen als sie sich gegen
die Abweisung des Zahlungsantrages durch das Arbeitsgericht gerichtet hatte. Die Revision
hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen. Es hat in den Entscheidungsgründen
festgestellt, dass die Übertragung der wiederkehrenden Prüfungen von Schulen auf den Kläger
durch das Direktionsrecht der Beklagten gedeckt war und keine Mobbinghandlung des
Vorgesetzten des Klägers dargestellt hat. Demnach scheide ein Anspruch des Klägers auf
„billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld)“ insoweit aus. Das Teilurteil ist rechtskräftig.
In dem angefochtenen Schlussurteil hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass die
Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen
Schäden zu ersetzen, die darauf beruhen, dass die Beklagte ihm im Jahr 2006 die Aufgabe
übertragen hat, wiederkehrende Prüfungen im Bereich von Sonderbauten durchzuführen. Mit
der vom Landesarbeitsgericht für die Beklagte zugelassenen Revision verfolgt diese ihren
Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision
beantragt.
Entscheidungsgründe
19 Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht der behauptete
Schadensersatzanspruch nicht zu.
20 A. Das Landesarbeitsgericht hat im Teilurteil zunächst ausgeführt, dass dem Kläger wegen
des dargelegten Verhaltens seiner Vorgesetzten teilweise kein Anspruch auf billige
Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) zustehe und teilweise ein eventueller Anspruch
jedenfalls verfallen sei. Aus den Darlegungen des Klägers lasse sich nicht entnehmen, dass
Vorgesetzte oder Kollegen ihm gegenüber Mobbinghandlungen nach Wiederaufnahme seiner
Arbeit im Oktober 2005 begangen hätten. Dies gelte ua. für die Übertragung von Aufgaben für
den Bereich „wiederkehrende Prüfungen“. Es sei nicht ersichtlich, dass der Teamleiter damit
das Direktionsrecht des Arbeitgebers überschritten habe. Wegen evtl. zeitlich weiter
zurückliegender Persönlichkeitsverletzungen und Gesundheitsbeschädigungen könne der
Kläger kein Schmerzensgeld verlangen, weil er insoweit die sechsmonatige Ausschlussfrist
nach § 70 BAT, § 37 TVöD-VKA versäumt habe. Seine Entscheidung im Schlussurteil hat das
Landesarbeitsgericht im Wesentlichen auf folgende Überlegungen gestützt: Bei dem
Feststellungsantrag handele es sich um eine zulässige nachträgliche Klagehäufung, weil er
erstmalig in der Berufungsinstanz als Hauptantrag gestellt worden sei. Die darin liegende
Klageerweiterung sei sachdienlich, weil der bisherige Prozessstoff als
Entscheidungsgrundlage verwertbar bleibe und ein neuer Prozess vermieden werde. In der
zuletzt gestellten Fassung sei der Antrag zulässig und dahin auszulegen, dass die
Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten für alle materiellen und immateriellen
Schäden begehrt werde, die der Kläger nach dem Zeitpunkt erlitten habe oder noch erleide, zu
dem sein klageerweiternder Schriftsatz vom 24. April 2007 der Beklagten zugegangen sei,
jedoch ohne Berücksichtigung der bis April 2007 dauernden krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit. Bei Zugrundelegung dieser Auslegung sei der Antrag hinreichend bestimmt.
Eine Bezifferung des Antrages sei nicht erforderlich, weil er jedenfalls weiterhin teilweise
zukunftsbezogen sei. Er sei auch nicht im Hinblick auf das rechtskräftige Teilurteil vom
15. Februar 2008 unzulässig. Bezüglich des zukünftigen materiellen und immateriellen
Schadens liege ein anderer Streitgegenstand vor. Denn die rechtskräftige Abweisung der
Zahlungsklage erfasse den Anspruch des Klägers auf Ersatz zukünftiger immaterieller
Schäden nicht, weil diese zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und ihr
Eintritt objektiv nicht vorhersehbar gewesen sei. Begründet sei der Antrag aus § 280 Abs. 1
Satz 1 BGB wegen des zukünftigen materiellen Schadens und aus § 253 Abs. 2 BGB wegen
des immateriellen Schadens. Die Beklagte habe nach § 278 Satz 1 BGB dafür einzustehen,
dass der Vorgesetzte des Klägers diesem Anfang des Jahres 2006 die Aufgabe übertragen
habe, wiederkehrende Prüfungen von Schulen durchzuführen. Damit sei der Kläger entgegen
§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX nicht mehr unter Berücksichtigung seines
Gesundheitszustandes beschäftigt worden. Diese pflichtwidrige Weisung sei mindestens
mitursächlich für die Erkrankung des Klägers ab April 2006 gewesen. Der Ersatzanspruch sei
nicht nach § 70 BAT, § 37 TVöD-VKA verfallen.
21 B. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand.
22 I. Die Feststellungsklage ist zulässig.
23 1. Der Feststellungsantrag durfte in der Berufungsinstanz gestellt werden. Zutreffend geht das
Berufungsgericht von einer Klageerweiterung in der Berufungsinstanz aus. Nachdem der
Kläger den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und
immaterielle Schäden vor dem Arbeitsgericht nur für den Fall des Obsiegens mit seinem
Zahlungsantrag gestellt hatte und Letzterer abgewiesen worden war, war der
Feststellungsantrag vor dem Arbeitsgericht nicht zur Entscheidung angefallen. In der Stellung
des Feststellungsantrages in der Berufungsverhandlung als Hauptantrag, lag eine
Klageerweiterung, weil ein neuer Streitgegenstand neben dem bisherigen eingeführt wurde.
24 Dabei handelte es sich um eine nachträgliche Klagehäufung.
25 Wird in der Berufungsinstanz ein neuer Streitgegenstand neben dem bisherigen eingeführt,
liegt ein Fall nachträglicher Klagehäufung (§ 260 ZPO) vor, dessen Zulässigkeit sich nach den
§§ 263, 533 ZPO beurteilt (vgl. BAG 12. September 2006 - 9 AZR 271/06 - Rn. 16, BAGE 119,
238 = AP BGB § 611 Personalakte Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 4).
Davon abzugrenzen ist der Fall des § 264 Nr. 2 ZPO, wonach keine Klageänderung gegeben
ist, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug
auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Dies wird bei Erweiterungen oder
Beschränkungen des Klageantrages angenommen, die den bisherigen Streitgegenstand bei
unverändertem Sachverhalt lediglich quantitativ oder qualitativ modifizieren und nicht durch
einen anderen ersetzen (vgl. auch: BAG 13. Februar 2007 - 9 AZR 207/06 - Rn. 11, BAGE
121, 182, 184 f. = AP BGB § 823 Nr. 19 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 8).
26 Mit seinem Feststellungsantrag hat der Kläger einen weiteren Streitgegenstand in den Prozess
eingeführt. So hatte er bislang einen Ersatzanspruch wegen materieller und künftiger
immaterieller Schäden nicht begehrt.
27 Es kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht die Sachdienlichkeit der nachträglichen
Klageerweiterung zu Recht bejaht hat, § 533 Nr. 1 ZPO, weil diese durch das Revisionsgericht
nicht mehr zu überprüfen ist (vgl. BAG 25. Januar 2005 - 9 AZR 44/04 - BAGE 113, 247 = AP
AEntG § 1 Nr. 22 = EzA AEntG § 1 Nr. 8). Im Übrigen hat die Beklagte durch rügelose
Einlassung in der mündlichen Verhandlung in die Klageänderung eingewilligt, §§ 267, 533 Nr. 1
ZPO (vgl. BGH 6. Dezember 2004 - II ZR 394/02 - MDR 2005, 588).
28 Darüber hinaus kann dahinstehen, ob die nachträgliche Klageerweiterung sich auf Tatsachen
stützen kann, die das Berufungsgericht nach § 533 Nr. 2 ZPO seiner Verhandlung und
Entscheidung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Ob und inwiefern die
Berücksichtigung neuer Tatsachen im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren zulässig ist,
richtet sich nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO, sondern nach der Spezialregelung in § 67 ArbGG
(BAG 25. Januar 2005 - 9 AZR 44/04 - BAGE 113, 247 = AP AEntG § 1 Nr. 22 = EzA AEntG
§ 1 Nr. 8). Hat das Berufungsgericht - wie hier - Vorbringen zugelassen, ist dies im
Revisionsverfahren unanfechtbar und das vom Landesarbeitsgericht zugelassene
Sachvorbringen zu berücksichtigen, weil die Beschleunigungswirkung, der die
Präklusionsvorschrift des § 67 ArbGG dient, nicht wieder herstellbar ist (vgl. BAG 19. Februar
2008 - 9 AZN 1085/07 - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 60 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 37).
29 2. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse
liegt vor. Es ist bei einer Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger
Schäden dann gegeben, wenn der Schadenseintritt möglich ist, auch wenn Art und Umfang
sowie Zeitpunkt des Eintritts noch ungewiss sind. Es muss lediglich eine gewisse
Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestehen (BAG 13. Februar 2007 - 9 AZR 207/06 -
BAGE 121, 182 = AP BGB § 823 Nr. 19 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 8).
30 Diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Kläger hat auf den Hinweis des
Landesarbeitsgerichts vom 15. Februar 2008, dass das Feststellungsinteresse für den
Feststellungsantrag fraglich sei, weil Vortrag dazu fehle, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für den Eintritt zukünftiger bzw. noch nicht bezifferbarer materieller und immaterieller Schäden
bestehe, vorgetragen, dass sich sein Krankheitszustand chronifiziert habe. Damit hat er eine
nicht nur entfernte Möglichkeit künftiger Schadensfolgen behauptet.
31 3. Zutreffend geht das Berufungsgericht im Ergebnis davon aus, dass der Zulässigkeit des
Feststellungsantrages nicht die Rechtskraft seines Teilurteils vom 15. Februar 2008
entgegensteht.
32 Die materielle Rechtskraft eines Urteils führt in einem späteren Prozess nur dann zur
Unzulässigkeit der neuen Klage, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind
oder im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess
ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 - mwN,
NJW 2008, 1227). Dies ist hier nicht der Fall. Bezüglich des Ersatzes künftiger materieller
Schäden folgt dies bereits daraus, dass der Kläger mit seiner durch das Teilurteil
abgewiesenen Zahlungsklage keinen Schadensersatz wegen materieller Schäden geltend
gemacht hatte.
33 Darüber hinaus ergibt sich auch ein anderer Streitgegenstand, soweit der Kläger mit dem
Feststellungsantrag die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle Schäden
begehrt. Denn mit seiner Zahlungsklage hatte der Kläger den Ersatz für bereits entstandene
immaterielle Schäden verlangt, wohingegen der Feststellungsantrag über die Ersatzpflicht für
künftige Schäden davon abhängt, ob dem Kläger künftig solche entstehen werden.
34 II. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet.
35 Der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellung des Bestehens eines Anspruchs des
Klägers auf Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden, die darauf beruhen, dass ihm im
Jahr 2006 die Aufgabe übertragen worden ist, wiederkehrende Prüfungen im Bereich von
Sonderbauten durchzuführen, steht die mit Teilurteil des Landesarbeitsgerichts vom
15. Februar 2008 getroffene Entscheidung entgegen.
36 1. Das Landesarbeitsgericht hat mit rechtskräftigem Teilurteil festgestellt, dass durch die
Übertragung der wiederkehrenden Prüfungen von Schulen auf den Kläger im Jahr 2006 durch
den Vorgesetzten des Klägers das Direktionsrecht der Beklagten nicht überschritten worden
ist und dass diese Maßnahme keine „Mobbinghandlung“ dargestellt hat. Ua. aus diesem
Grunde hat das Landesarbeitsgericht die Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes bzw.
einer Entschädigung abgewiesen. Ein ausschlaggebender, die Klageabweisung tragender
Grund wird Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und ist nicht allein ein
Element der Entscheidungsbegründung (BGH 24. Juni 1993 - III ZR 43/92 - NJW 1993, 3204).
Auch wenn insofern die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts nicht an der Rechtskraft der
gefällten Entscheidung teilhaben, darf diese nicht mit dem Vorbringen ausgehöhlt werden, das
rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige tatsächliche Feststellungen. Zu den
Rechtskraftwirkungen gehört deshalb die Präklusion der im ersten Prozess vorgetragenen
Tatsachen, die zu einer Abweichung von der rechtskräftig festgestellten Rechtsfolge führen
sollen (BGH 11. November 1994 - V ZR 46/93 - NJW 1995, 967). Diese Präklusion erfasst
auch im Vorprozess nicht vorgetragene Tatsachen, sofern sie nicht erst nach dem Schluss
der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind (BGH 17. März 1995 - V ZR
178/93 - NJW 1995, 1757).
37 Dies hat zur Folge, dass ein Sachurteil, welches eine Leistungsklage abweist, grundsätzlich
feststellt, dass die begehrte Rechtsfolge aus dem der Entscheidung zugrunde liegenden
Lebenssachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr hergeleitet werden kann, und
zwar auch dann, wenn das Gericht nicht alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen
ins Auge gefasst hatte (vgl. BGH 17. März 1995 - V ZR 178/93 - NJW 1995, 1757;
13. Dezember 1989 - IVb ZR 19/89 - NJW 1990, 1795). Da diese Präklusion somit Ausfluss
der Rechtskraftwirkung von Urteilen (§ 322 ZPO) ist, gilt diese Präklusion in entsprechender
Anwendung der §§ 318, 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Gericht auch hinsichtlich der in einem
von ihm erlassenen rechtskräftigen Teilurteil getroffenen Feststellungen.
38 Ebenso wie das Revisionsgericht dann, wenn eine in einem Vorprozess rechtskräftig
entschiedene Rechtsfrage lediglich Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden
Rechtsstreits ist, die sich aus der Rechtskraft der früheren Entscheidung ergebende
Bindungswirkung von Amts wegen zu beachten hat (BGH 16. Januar 2008 - XII ZR 216/05 -
NJW 2008, 1227), muss es auch die Präklusion von Tatsachenfeststellungen von Amts wegen
beachten.
39 2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze stellt sich das Schlussurteil des
Landesarbeitsgerichts als fehlerhaft dar, weil es diesem verwehrt war, der Feststellungsklage
mit der Begründung stattzugeben, die Beschäftigung des Klägers mit wiederkehrenden
Prüfungen sei „pflichtwidrig“ gewesen, weil der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers dessen
Anspruch auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX)
durch diese Arbeitsanweisung verletzt habe. Genau diese Anordnung aus dem Februar 2006
hatte das Landesarbeitsgericht in seinem Teilurteil vom 15. Februar 2008 als durch das
Direktionsrecht der Beklagten gedeckt und nicht als „Mobbinghandlung“ des Vorgesetzten des
Klägers gewertet. Demzufolge hat es im Ergebnis die Anordnung als vertrags- und
gesetzesmäßig betrachtet mit der Folge, dass diese die geltend gemachten Schmerzensgeld-
/Entschädigungsansprüche des Klägers nicht begründen könne. Auch wenn das
Landesarbeitsgericht die damalige Anweisung nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines
möglichen Verstoßes gegen § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX geprüft hatte, verbietet es die
Präklusion im oben dargestellten Sinne (B II 1), diesen vom Landesarbeitsgericht seiner
damaligen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt im Schlussurteil - und zwar diesmal
unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt mit einem anderen Ergebnis - erneut zu
berücksichtigen. Eine Ausnahme von dieser Präklusionswirkung ist auch nicht deshalb
angezeigt, weil sich etwa der maßgebliche Lebenssachverhalt nach der mündlichen
Verhandlung, aufgrund derer das Teilurteil ergangen ist, geändert hat. So lag die
Schwerbehinderung des Klägers bereits zum Zeitpunkt der Aufgabenzuweisung im Februar
2006 vor. Ebenso war die amtsärztliche „Zusammenfassung und Beurteilung“ des
Gesundheitszustandes des Klägers vom 24. März 2005, auf welche das Landesarbeitsgericht
zur Begründung seines Schlussurteils maßgeblich abgestellt hat, zum Zeitpunkt der
streitbefangenen Maßnahme und des Erlasses des Teilurteils - zumindest der Beklagten -
bereits bekannt. Diese Umstände hätte das Landesarbeitsgericht somit vor der Verkündung
seines Teilurteils vom 15. Februar 2008 berücksichtigen können.
40
C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO auch die Kosten der Berufung und der Revision zu
tragen.
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